Bundespressekonferenz: Beck erklärt Deutschland
Des Kaisers neue Kleider: SPD-Chef Beck präsentiert seine Jahresbilanz.
Die fällt so positiv aus, dass nicht einmal der von RTL eingeschleuste Henrico Frank stört. Erinnern Sie sich? Henrico Frank war, vor rund einem Jahr, ein Arbeitsloser auf dem Wiesbadener Weihnachtsmarkt, der Beck angetrunken anpöbelte. Im weitesten Sinn ging es um Hartz IV, um Gerechtigkeit; aber vor allem hatte Herr Frank ein bisschen zuviel getrunken. Beck konterte genervt: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job.“ (13. Dezember 2006). Diese Einschätzung Becks entsprach noch der Linie, welche die SPD unter Schröder und Müntefering fuhr: Bitter, aber ehrlich. Aus irgendeinem Grund fanden das manche Leute nicht nett; und weil Kurt Beck zu jener Zeit schwer an seinem netten Image arbeitete, bot er Henrico Frank in den folgenden Wochen sechs Jobs an. Frank lehnte alle ab, und „Bild“ nannte ihn „Deutschlands frechste(n) Arbeitslose(n)“. Schließlich fand er doch einen Job, als Punk-Experte bei einem Frankfurter Radiosender. Beck hatte schon einen Job, aber 2007 etablierte er seine Machtposition. In erster Linie, indem er alles, was die SPD seit 2003 an Realismus und Pragmatismus gewonnen hatte, über Bord warf, um in links-verträumten Wählerkreisen auf Stimmenfang gehen zu können.
Der Wiesbadener Weihnachtsmarkt 2006 ist lange her. Anlässlich der Präsentation der SPD-Jahresbilanz auf der Bundespressekonferenz sollte nun, so wollte es RTL, Henrico Frank eine Entschuldigung von Kurt Beck fordern. Er wartete damit bis ganz zum Schluss, dann fragt er: „Erinnern Sie sich an mich?“. Ja, Beck erinnerte sich. Entschuldigen wollte er sich aber nicht; seine Worte, erklärte der Parteivorsitzende, hätten Henrico Frank „doch geholfen. Dazu gratuliere ich Ihnen.“
Das war, am Ende der Pressekonferenz in Berlin, für einen Moment endlich mal: Knapp, realistisch, ehrlich. Zuvor hatte Beck, ganz wie der Kaiser im Märchen, lauter vermeintliche Kleider vorgeführt. Hatte ihn keiner seiner Berater gewarnt? Jedenfalls war die Bilanz alles andere als realistisch. Beck, der von sich behauptete, er mache seinen Job „ganz ordentlich“, zählte Erfolge des vergangenen Jahres auf: Die neue Parteispitze (wahrlich, ein Coup mit macchiavellistischen Zügen), das neue, von der Linkspartei abgeschriebene Grundsatzprogramm, der Abschied von der alten SPD, besonders Franz Müntefering – das alles kündet in der Sicht des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten von der neuen, sozialen, modernen SPD. Die Reformpartei, ein Spuk von gestern. Angesichts bevorstehender Landtagswahlen verrät Beck verschwörerisch, was Sozialthemen beträfe, sei „noch mehr im Köcher“.
Es bräuchte ein Kind wie im Märchen, das Kurt Beck mit den Tatsachen konfrontiert. Der Richtungswechsel der SPD, von der nüchternen Regierungspartei hin zur weltfremden Partei des allumsorgenden Staates hat den Sozialdemokraten nicht gut getan: In aktuellen Umfragen erreichen die Genossen selten mehr als 31%. Absehbar, dass der Wähler die Rolle des Kindes im Märchen übernehmen wird, wenn die Landtage gewählt werden.